Paul Leo
Der JudenfreundVater: Friedrich Leo
Mutter: Cécile Leo
Geschwister: Erika und Ulrich Leo
Vom Geschichtsstudium in Göttingen wechselt Paul zur Theologie in Tübingen und Marburg, die Neutestamentler Rudolf Bultmann und Adolf Schlatter gehören zu seinen Lehrern. Der Vater stirbt in dem Jahr, als der Weltkrieg beginnt; die Leos haben wenig Geld. Zur Akademischen Vereinigung Marburg, die Paul Leo aufs Neue begründet, gehört damals auch der Pädagoge Adolf Reichwein, den das NS-Regime 1944 in Plötzensee hinrichten wird. Leo promoviert über den antiken Kirchenlehrer und Mönchsvater Basilius; als Student muss er wegen gesundheitlicher Schwächen öfter aussetzen. Er engagiert sich bei Tagungen und mit Artikeln für die junge ökumenische Bewegung und besonders für Menschen, die der Kirche entfremdet sind. In seiner ersten Pfarrei Norderney gehören Kontakte mit jüdischen Nachbarn selbstverständlich dazu. 1931 stirbt seine Ehefrau Anna kurz nach der Geburt seiner Tochter Anna.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird für Paul Leo, der als „Dreivierteljude“ gilt, sein Einsatz für die so genannten Judenchristen zum persönlichen Thema. Unterstützt durch August Marahrens, den national orientierten, dem Regime mit Ergebenheitsadressen entgegenkommenden Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, formuliert er dazu Argumente, die bis 1938 bei Vorträgen im ganzen Land von ihm zur Sprache gebracht werden. Auch Paul Leo ist konservativ- patriotisch eingestellt, und er besteht gerade darauf, dass Judenhass und christlicher Glaube sich konträr zueinander verhalten. In seiner von Bischof Marahrens beauftragten Denkschrift „Kirche und Judentum“, die bereits im Juni 1933 vorgelegen hat, formulierte er: „Für die Kirche kann es eine Judenfrage nur geben, indem sie fragt, ob die Juden ungetauft oder getauft sind. Die ungetauften sind Gegenstand ihrer missionarischen Liebe, die getauften vollgültige Mitglieder ihrer Gemeinschaft.“ Die bisher in Deutschland eingeschlagenen Wege – zum einen den der Assimilation, für den Moses Mendelssohn steht, zum anderen die Vertreibung oder Vernichtung der Juden – will Leo in seinem Gutachten beide nicht als zukunftsweisend akzeptieren. Er erwartet von seiner Institution eine Stellungnahme: „Die Kirche hat vom Staat ernsthaft zu fordern, dass er in seinem politischen Kampfe gegen das Judentum zweierlei respektiere: die Ehre und die Person der Juden ...“. Die Kirche müsse zum Anwalt dieser leidenden Menschen gegenüber dem Staat werden. Das Judentum definiere sich nicht aus der Rasse, sondern aus dem Ethos seines Glaubens. Die Lösung der „Judenfrage“ liege ausschließlich bei Gott. "Wäre die vollkommene Lösung der Judenfrage nach dem Grundsatz der Assimilation die Aufsaugung durch das Deutschtum, so die vollkommene Lösung nach dem Grundsatz der Rassereinheit die Vernichtung sämtlicher Juden."
Leo gehört in Osnabrück zu einer Gruppe von Pfarrern, die sich als Ableger der oppositionellen „Bekennenden Kirche“ auf dem Terrain der hannoverschen Landeskirche entwickelt und den staatlichen Totalitätsanspruch als Attacke auf die Berufung des Christen erkennt: Das „Reich Gottes“, hatten diese Geistlichen schon im April 1933 in ihren Kirchen verkündet, sei „die Offenbarung der ewigen Welt an die Menschen aller Völker und Rassen durch Christus“.
Ende September 1933 hatte Pastor Leo bereits seine staatliche Teilzeitstellung als Gefängnisseelsorger verloren, 1935 kündigt der Osnabrücker Oberbürgermeister ihn als Seelsorger am Städtischen Krankenhaus. Der Gemeinde Haste, in der Leo daraufhin unter wachsender Zustimmung der Gemeinde als Prediger eingesetzt worden war, wird im Frühjahr 1938 vom Staat der Entzug finanzieller Förderung und der Genehmigung für einen Kapellenbau angedroht. Leo verzichtet daraufhin auf sein Amt, um die Gemeinde nicht unter Druck zu setzen. Kollegen plädieren vergeblich für ihn, die Kirchenleitung versetzt ihn gegen seinen Willen in den einstweiligen Ruhestand. In den folgenden Monaten bereitet er Kandidaten der „Bekennenden Kirche“ in einem Untergrundseminar auf ihr Pfarramt vor. Am 10. November, während der Verhaftungswelle der Pogromnacht, wird er ins KZ Buchenwald verschleppt und dort misshandelt. Im Lager kann er Andachten für Christen jüdischer Herkunft abhalten. Für seine Freilassung, die nach sieben Wochen erfolgt, setzen sich der Heidelberger Stadtpfarrer Hermann Maas, ein Pionier des christlich-jüdischen Dialogs, und der Bischof von Chichester George Bell, ein ökumenischer Mitstreiter, ein.
Im April 1939 kritisiert die SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ unter der Überschrift „Jud Leo vereinnahmt Kirchensteuer“, dass die Kirche an ihn Pension zahle: "Der Staat sperrt einen verbrecherischen Juden ein, die Kirche bedenkt den gleichen Juden mit Geschenken aus Mitteln, die sie mit Hilfe des Staates eintreibt." Paul Leo ist zu diesem Zeitpunkt bereits seiner achtjährigen Tochter gefolgt, die er in einem Sonderzug für Kinder nach Holland in Sicherheit geschickt hatte. Hier betreut er emigrierte Christen jüdischer Herkunft in einem Flüchtlingslager. Die Landeskirche stellt nach der Ausreise Zahlungen an ihn ein. Mit Tochter Anna und der Metallbildnerin Eva Dittrich, die er seit 1937 kennt, und mit seinem Bruder Ulrich Leo wandert er über England aus nach Übersee. Eva Dittrich bekommt fürs Erste kein US-Visum, muss in Venezuela warten; Leo lehrt zunächst ein Jahr Kirchengeschichte an einem presbyterianischen Seminar in Pittsburgh, heiratet seine zweite Frau 1940 in einer prespyterianischen Kapelle in Caracas und übernimmt dann lutherische Pfarrstellen in Texas. Seine Kinder Christopher und Monica werden 1941 und 1944 geboren. Zu einer Rückkehr in die hannoversche Landeskirche kann sich die Familie nach 1945 nicht entschließen. 1951 wird Paul Leo Professor für Neues Testament am Wartburg Theological Seminary von Dubuque in Iowa. Dort stirbt er am 10. Februar 1958 bei einer Vorlesung, in der er den griechischen Begriff „Euangelium“ erklärt, was „Gute Nachricht“ bedeutet.