Leni Yahil
Die ZionistinVater: Ernst Westphal
Mutter: Helene Westphal
Geschwister: Hans-Carl, Dorothea Agnes Helene, Barbara Elisabeth Charlotte, Cecilie Clara Anna
Leni Yahil, die 1912, in Düsseldorf als Helene Erna Wilhelmine Westphal geboren wird, wächst in einer Familie auf, die sich dem Deutschtum unverbrüchlich verbunden fühlt. Die Jüngste von fünf Geschwistern hat zum jüdischen Großvater mütterlicherseits, dem Berliner Mäzen James Simon, ein inniges Verhältnis; er schenkt ihr als erstes hebräisches Buch eine Bibel mit deutscher Übersetzung. Ihr getaufter Vater Ernst Westphal ist Richter, Patriot, war im Weltkrieg Frontsoldat, wird Verwaltungsrichter in Potsdam. Dort besucht Leni die Realgymnasialstudienanstalt für Mädchen. In München und Berlin studiert sie Geschichte, hört Vorlesungen des Rabbiners Leo Baeck an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Durch ihren Beitritt zu dem vom „Wandervogel“ inspirierten „Reichsverband der Kameraden“ im Jahr 1928 wird „Beschäftigung mit den Werten des Judentums“, verbunden mit einem „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“, für sie zum Gemeinschafts-Ideal.
Aus Lenis „Kameraden“ wird 1932 die Gruppe der „Werkleute“, ein „Bund deutsch-jüdischer Jugend“, der sich zum Ziel setzt: „... durch die Form der Erziehung einen jüdischen Menschen herauszubilden, der in Gesinnung und Haltung sich von dem in der Galuth (= Exil) entstandenen Zerrbild des Juden abhebt.“ Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gehen die Ersten zur Kibbuz-Gründung nach Palästina, im Oktober 1934 folgt Leni Yahil. Sie verpackt auf dem Land zunächst Orangen, setzt dann aber an der Hebräischen Universität in Jerusalem ihre Studien fort. Zwei ihrer Geschwister emigrieren aus Deutschland nach Südafrika.
Der Vater Ernst Westphal hatte am 8. März 1933 in einer internen Umlaufmappe gegen die Hakenkreuzbeflaggung des Gerichtsgebäudes protestiert, er ist – auch wegen seiner jüdischen Herkunft – in den Ruhestand versetzt worden. Zwar gelingt es den Kinder im Exil schließlich noch, Auswanderungs-Visa für ihre Eltern zu besorgen, doch diese treffen zu spät, erst nach Kriegsbeginn, in Berlin ein. Während der nächsten sechs Jahre werden Ernst und Helene Westphal von einer Wohnung und einem Versteck zum anderen ziehen, zuletzt untergetaucht. Lenis Tante Elisabeth wird sich vor der angesagten Deportation das Leben nehmen; ihre Tante Marie, die Witwe des Bankiers Franz von Mendelssohn, wird nach einer Lösegeld-Zahlung an die SS ins Ausland gerettet. Über den Suizid ihres überlebenden Vaters Ernst Westphal 1949 in Südafrika hat seine Tochter Leni später in Israel geschrieben, fünf Jahre vor ihrem Tod im Alter von 95 Jahren: „Seine Welt, wie er sie verstanden und gesehen hat, war zusammengebrochen.“
1942 hatte Leni den Politikwissenschaftler Chaim Hoffmann geheiratet, der aus der Tschechoslowakei nach Palästina emigriert war und seinen Namen in Yahil hebraisiert. Die Söhne Amos und Jonathan werden 1943 und 1945 geboren.
Für die politische Karriere ihres Mannes, der als Vertreter der Jewish Agency in den europäischen Camps bei Displaced Persons unterwegs ist, Konsul des jungen Staates Israel in München wird, mit BRD-Behörden über die Entschädigung jüdischen Vermögens verhandelt und ab 1956 Botschafter in Skandinavien wird, stellt Leni Yahil ihre Wissenschaft immer wieder zurück. Während der Jahre in Stockholm sammelt sie Material für ihre Dissertation über die „Rettung der dänischen Juden. Test einer Demokratie“. Als Professorin in Haifa, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Yad Vashem und Gastprofessorin in den USA wird sie zu einer Instanz bei der Erforschung der Shoah.
1961 begegnet Leni Yahil der Philosophin Hannah Arendt, beide befreunden sich. 1963 entwickelt sich zwischen ihnen eine briefliche Kontroverse über Arendts Berichterstattung zum Eichmann-Prozess. Leni Yahil widerspricht dem Deutungsansatz „Banalität des Bösen“: Sie akzeptiert nicht, dass jemand wie der Organisator der Judenvernichtung, so Arendt, als Marionette des totalitären Systems eigentlich nicht des Mordes angeklagt werden dürfe: da ihm die Fähigkeit zum eigenen Denken genommen worden sei. Vielmehr konstatiert sie, dass es im „Dritten Reich“ für die meisten Menschen sehr wohl moralische Maßstäbe gab, die aber verdrängt wurden, wo man sich zur Situation der Juden hätte verhalten müssen. Außerdem weist sie Arendts Pauschal-Verurteilung der „Judenräte“, die mit den Vollstreckern des Genozid kooperieren mussten, zurück sowie Angriffe auf die Wertvorstellungen des Staates Israel. Die Freundschaft zerbricht an dieser Auseinandersetzung. Ein Annäherungs-Brief Yahils im Jahr 1971 bleibt unbeantwortet.
Für die Historikerin wird das Zerwürfnis auch zur Anregung bei der Konzeption ihres Werkes über die Shoah. Ihre Betonung der jüdischen Perspektive, genauere Differenzierung zur Rolle unterschiedlicher Judenräte und des jüdischen Widerstandes können als Reaktion auf Arendts Positionen gelesen werden: „Mehr als alles andere ist es nötig, dass von den Nazis gesichtslos und gestaltlos gemachte Bild [der Opfer] wiederherzustellen.“ Ihre Geschichte der Shoah berücksichtigt, mehr als vorangegangene Standardwerke, jüdische Quellen, und sie zeigt, wie sich die Täter mit ihrem Vernichtungswillen und die Opfer mit ihrem Überlebensdrang gegenseitig beeinflussten. Gewidmet hat sie das Buch ihrem verstorbenen Mann Chaim Yahil und dem im Sechstagekrieg gefallenen Sohn Jonathan, und hinzugefügt: „... deren größte Sorge war die Wiederherstellung Israels“.