Eleonora von Mendelssohn
Die tragische DivaSpäter, in ihren Bühnen-Jahren, den roaring twenties und Anfang der 1930er Jahre, entstehen glamouröse Aufnahmen von ihr: als unnahbare Diva. „Sie war so schön, dass einem die Augen übergingen,“ wird die Kollegin Elisabeth Bergner sich später erinnern. „So gebildet wie eine ganze Universität; und so intelligent wie sechs Teufel, und so engelhaft gut wie eben ein Engel. Sie war auch der unglücklichste Mensch, den ich jemals getroffen habe.“
Auf einer Taufschale der Familien Robert und Franz von Mendelssohn, die das Jüdische Museum Berlin ausstellt, ist auch Eleonoras Name eingraviert. Die von ihr überlieferte Bemerkung aus der NS-Zeit, dass man zwangsläufig Jude sei, wenn man heiße wie sie, verweist weniger auf eine religiöse Orientierung als auf ihren Drang zur Solidarität. Solche Anteilnahme gilt auch ihrer Taufpatin Eleonora Duse, dem Theaterstar der Epoche. Die von Eleonora und ihrem Bruder Francesco verehrte Duse war eine langjährige Geliebte des Vaters Robert von Mendelssohn gewesen, der 1917 stirbt. Die Pianistin Giulietta Giordgiani, seine Witwe, war dem Berliner Bankier einst als 27-jährige Braut aus dem Fan-Kreis der berühmten italienischen Schauspielerin zugeführt worden. Nun soll sich Giulietta an der alternden Künstlerin, die auch Kundin des Bankhauses ist, durch finanztechnische Manipulation gerächt haben. Das verstärkt Spannungen zwischen den Geschwistern und ihrer Mutter – einer Mussolini-Anhängerin. Die lebenslange, zeitweise aufopfernde Empathie Eleonoras gilt aber auch ihrem Bruder, der sich als glamouröser Erbe im Berlin der Zwanziger Jahre zu seiner Homosexualität bekennt. Eine andere Seite ihrer sensiblen Anteilnahme zeigt sich in der persönlichen Verletzlichkeit. Nach einer Abtreibung kommt die junge Frau von ihrem Schmerzmittel Morphium nicht mehr los.
Ihre Bühnenkarriere im Schatten der Sucht führt sie ans Düsseldorfer Schauspielhaus, an die großen Berliner Theater, nach München. Sie gewinnt Aufmerksamkeit an der Seite von Renate Müller, Veit Harlan, Berta Drews, Luise Ulrich, Blandine Ebinger, Rudolf Platte, Käthe Haack, Paul Graetz, Helene Weigel, Lotte Lenja, Werner Krauß, Paula Wessely und Attila Hörbiger, unter Regisseuren wie Jürgen Fehling, Otto Falckenberg und Leopold Jeßner. Gelobt wird ihr „beseeltes Gebärdenspiel, die modulationsfähige Stimme“, ihr Verzicht auf Effekthascherei: Sie sei eine „geborene Darstellerin des Innerlichen“. In der Rolle der Bettina Clausen für Max Reinhardts Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Vor Sonnenuntergang rühmt sie der gefürchtete Alfred Kerr: „Eleonore Mendelssohn gibt mit Selbstverleugnung eine Menschenstudie – wundervoll. Im armen Gang, in stoßender Sprechweise, im entzündeten Blick ein ganz tapferes Wahrheitsbild. Ein Wahrheitsvorbild.“ Am 21. Januar 1933 steht sie – mit Gustaf Gründgens und Bernhard Minetti – in Faust II auf der Bühne des Preußischen Staatstheaters, als mythische Schönheit Helena, ihre letzte Rolle in Deutschland.
Um eine Europatournee Max Reinhardts zu finanzieren, verkauft sie Kunst aus dem Familienbesitz. Als der geliebte Regisseur in New York das spektakuläre Biblical „The Eternal Road“ von Franz Werfel und Kurt Weill inszeniert, engagiert sie sich fürs Fundraising. 1935 war sie mit dem Bruder Francesco in die USA emigriert. Am Broadway schafft sie keinen großen beruflichen Neustart, tritt aber gelegentlich in New Yorker Bühnenproduktionen auf. Während des Weltkriegs jobt sie für deutschsprachige Sendungen des Office of War Information als Nachrichtensprecherin. Das Geld aus einer Mendelssohnschen Familienstiftung reicht nicht mehr für sie, die mit Geld nicht umgehen kann, und für Francesco, um dessen Abstürze sie sich immer wieder kümmert. Ihr einziger Hollywood-Auftritt ist die Rolle einer verhärmten, verzweifelten Italienerin, deren Mann von der Mafia ermordet wird, in dem film noir „Black Hand“ (1950).
Zwischen den letztlich unerreichbaren Männern ihrer Biographie – dem früh verstorbenen Vater, dem labilen Bruder, dem angebeteten Max Reinhardt und dem später ebenso sehnsüchtig bedrängten Dirigenten Arturo Toscanini – erscheint Eleonora als Tragödienfigur ihres eigenen biopics. Viermal ist sie verheiratet: 1919 bis 1925 mit dem Pianisten Edwin Fischer; 1927 bis 1936 mit dem österreichischen Rittmeister Jeszenzky, der versucht, sie von der Droge wegzubringen; 1938 bis 1944 mit dem ebenfalls emigrierten Kollegen Rudolf Forster, von dem sie sich, zur Therapie, ein Kind gewünscht hatte, der aber ins „Dritte Reich“ zurückkehrt. Ihre Ehe mit dem homosexuellen Kollegen Martin Kosleck, der sich in Hollywood mit Nazi-Rollen über Wasser hält, wird 1947 geschlossen. Francesco liegt nach einem Schlaganfall im Krankenhaus, Martin Kosleck ebenfalls, nach einem Suizidversuch aus Liebeskummer: Am 24. Januar 1951 nimmt sich Eleonora von Mendelssohn, die sich um beide Männer gekümmert hat, mit Äther, Tabletten und Injektionen das Leben.