Vor Wohnungsauflösungen wurden diese Bilder oft in Auftrag gegeben. Sie dokumentieren den Stand, den Geschmack, die Persönlichkeit des Bewohners. Auch galt im 19. Jahrhundert den privaten Milieus von Gelehrten, Künstlern, Musikern zunehmend das Publikumsinteresse.
Die Gouachen des Musikzimmers dienten als Unikate familiärer Erinnerung. Nach dem Tod der Geschwister Fanny und Felix (1847) bahnte sich mit dem Verkauf des Palais Leipziger Straße 3 (1850) für die Mendelssohn Bartholdys und Hensels auch der Verlust eines besonderen Ortes an. Die Zimmerbilder portraitieren das (Innen-) Leben der Bewohnerin und die mit vielen Erzählungen verbundene Topographie. Ihre Darstellung gewährt Blicke auf Begrenzungen und Chancen einer Frau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verschiedene Rollen - als Bankierstochter, Schwester, Ehefrau, Mutter - musste Fanny Hensel mit ihrem musikalischen Talent in Einklang bringen. Überschreitungen zwischen privater und öffentlicher Sphäre sind ein Thema in der Biographie dieser getauften Enkelin des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, der eine Berufsmusiker-Karriere versagt blieb. Ihr Musikzimmer betreten wir als einen Raum in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der geschlechtsspezifische Klischees zeigt. Nähtisch und Flügel stehen einander wie Gegner gegenüber.
Julius Helffts bekannte Gesamtansicht des Musikzimmers (23,4 cm mal 30 cm) gelangte 2005 aus Familienbesitz über ein deutsches Auktionshaus an die Thaw Collection und mit der Schenkung dieser Sammlung an das Cooper-Hewitt, National Design Museum, New York. Die Mendelssohn-Gesellschaft nahm mit dem Museum Kontakt auf und stellte fest, dass die Gouache dort in einer prächtigen Sammlung von Interieurs des 19. Jahrhunderts würdig eingereiht ist. An eine dauerhafte Rückkehr dieses Werkes nach Berlin ist indes nicht zu denken. Gemeinsame befristete Ausstellungsvorhaben sind dagegen nicht ausgeschlossen.
Als 2009 im Kunsthandel eine bislang unbekannte Auschnitt-Ansicht des Musikzimmers (31,5 cm mal 23,7 cm) auftauchte, war die Mendelssohn-Gesellschaft alarmiert. Der Fall von 2005 sollte sich möglichst nicht wiederholen. Die Staatsbibliothek zu Berlin gab dem agierenden Auktionshaus ein Angebot ab, unterlag jedoch gegen einen Berliner Kunsthändler. Von diesem konnte das Aquarell schließlich im Mai 2010 erworben werden. An der Finanzierung des Ankaufs beteiligte sich die als Erwerber auftretende Staatsbibliothek / Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, der Hauptbeitrag kam auf Vermittlung der Mendelssohn-Gesellschaft von der Hamburger Hermann-Reemtsma-Stiftung.
Soweit das konservatorisch zu verantworten ist, soll das Bild nach dem Wunsch der Stiftung in der Mendelssohn-Remise gezeigt werden, im Rahmen des Ausstellungsexkurses "Gegenwelt Leipziger Straße 3". Es zeigt die Zimmerecke mit dem Flügel und einem prächtigen Notenpult nach dem Vorbild italienischer Gebetbuchpulte der Renaissance, sowie einen jener barocken Braunschweiger Stühle, von denen sich ein Paar ebenfalls in der Remisen-Ausstellung befindet. Zu erkennen ist, dass die Schräge der Zimmerecke in Fannys Raum auf einen geschlossenen Kamin zurückgeht. Bei dem oberen Gemälde, das an der Wand zu sehen ist, dürfte es sich um das Motiv Christus in Emmaus handeln. Barocke Rahmen und der Stuhl artikulieren eine Abkehr vom klassizistischen Geschmack, der bis in die 1830er Jahre in Berlin vorherrschte. Sie zeugen vom wiedererstarkten Interesse an künstlerischen Leistungen des 18. Jahrhunderts, das auch im Programm der Sonntagsmusiken und im Oeuvre der Komponisten-Geschwister hörbar wurde.